Sympathikus – der Leistungsbringer

Immer wenn mehr Leistung gefragt ist und der Körper einen Energie-Schub braucht, hilft der Sympathikus weiter. Er mobilisiert die Kraftreserven, die im Körper stecken und für besondere Belastungen benötigt werden. Aber nicht nur in Ausnahmesituationen ist der Sympathikus aktiv, auch im ganz normalen Alltag wirkt er mit.

Der Sympathikus hat ein schlechtes Image, weil er häufig im Zusammenhang mit Stressreaktionen genannt wird. Im Vergleich zum Parasympathikus, der immer mit Ruhe und Entspannung in Verbindung gebracht wird, schneidet er imagemäßig schlecht ab. Stress und Anspannung werden ihm als Begleiterscheinung zugeschrieben.

Das ist nur teilweise richtig. Frei nach Paracelsus könnte man auch für den Sympathikus sagen: Allein die Dosis macht das Gift. Zuviel sympathische Aktivität ist nicht gesund, aber zu wenig wäre auch nicht gut. Mit der Herzratenvariabilitäts-Analyse ist ein Rückschluss auf die Balance der Aktivitäten von Sympathikus und Parasympathikus möglich.

Stress gehört zum Leben dazu

Vor Anstrengungen und Stress sollte keiner Angst haben, denn ohne sie hätte der Mensch nicht überleben und sich nicht weiterentwickeln können. Vor Millionen Jahren verhalf der sympathische (vom Sympathikus ausgelöste) Energieschub dem Menschen, sich dem Kampf zu stellen oder erfolgreich zu flüchten. Die Stressreaktion mobilisierte die körperlichen Kräfte und ließ seine Leistung vorübergehend in die Höhe schnellen.

Jeder kennt den Zusammenhang aus dem Sport: Nur durch regelmäßige Forderung lässt sich die Leistung steigern, aber natürlich nicht ständig. Und hier liegt heutzutage die Erklärung für das Dilemma des Sympathikus: Unseren Vorfahren sicherte er noch das Überleben, heute ist seine Aktivität mit allerlei Risiken für unsere Gesundheit behaftet. Schuld daran ist nicht der Sympathikus, sondern wir sind es selbst. Denn die meisten von uns wissen nicht, wie sie mit dem genialen Energiemanagement des Körpers richtig umgehen sollen.

Zeit, sich mal mit dem Leistungs-Mobilisierer für einen besseren Umgang zu beschäftigen.

Unterschiede zwischen Sympathikus und Parasympathikus

Fast alle Organe werden von Sympathikus und Parasympathikus gleichzeitig gesteuert. Ihre Wirkung ist gegensätzlich (antagonistisch). Was der eine Anteil des vegetativen Nervensystems (VNS) hemmt, regt der andere an. Zusätzlich können sie sich auch gegenseitig hemmen.

So verschiedenen die Wirkung von Sympathikus und Parasympathikus ist, so unterschiedlich ist auch ihr Aufbau:

  • Beim Sympathikus befinden sich alle Ursprungszellen im Rückenmark und die Weiterleitung von Signalen erfolgt als geordnete Einheit.
  • So strukturiert ist der Parasympathikus nicht, seine Zellen befinden sich nicht alle im Rückenmark, sondern auch direkt im Gehirn.
  • Während der Parasympathikus über einen Weg mit einem Neurotransmitter agiert, erfolgt die Übertragung der sympathischen Aktivität über zwei Übertragungswege (Ausnahme sind Schweißdrüsen und das Nebennierenmark) mit zwei Neurotransmittern. Dadurch werden Signale des Sympathikus etwas langsamer verbreitet als die des Parasympathikus.
  • Neben der Aktivierung über Nervenbahnen kann der Sympathikus teilweise auch hormonell über die Blutbahn Einfluss nehmen, wie z. B. in Notfällen.

Von den Wurzelzellen bis zum Grenzstrang

Los geht unsere sympathische Reise in den übergeordneten Zentren: Aus verschiedenen Bereichen des Hirnstamms und des Hypothalamus erhalten die Ursprungszellen des Sympathikus im Rückenmark den Impuls zur Aktivität. Sie liegen im Seitenhorn der grauen Substanz und bilden den Nucleus intermediolateralis, ein Kerngebiet des Sympathikus. Die Zellsäule erstreckt sich von der Brust- bis zur oberen Lendenwirbelsäule.

Alle sympathischen Nervenfasern sammeln sich nach Verlassen des Rückenmarks erst einmal im sogenannten Grenzstrang. Er liegt rechts und links von der Wirbelsäule und besteht aus lauter Nervenknoten (Ganglien), die in Längsrichtung miteinander verbunden sind. Die Ganglienkette reicht von den unteren Halswirbeln bis zu den ersten Lendenwirbeln. Nach ihrer Lage werden die Grenzstrangganglien (Paravertebralganglien) in Hals-, Brust- und Steißganglien eingeteilt.

Schaltstationen auf dem Weg zum Erfolgsorgan

In den kleinen Knötchen des Grenzstrangs kommt es meistens zu einer zweiten Verschaltung. Die Überleitung erfolgt (wie beim Parasympathikus) mit dem Neurotransmitter Acetylcholin. Eine weitere Nervenzelle (postganglionäres Neuron) übernimmt den Impuls und überträgt ihn mit Hilfe des zweiten Neurotransmitters Noradrenalin auf das Zielorgan.

Der aufmerksame Leser hat das Wörtchen meistens im vorherigen Absatz gelesen, denn es gibt natürlich auch Ausnahmen. Einige Nervenfortsätze (Axone) werden nicht in den Ganglien im Grenzstrang umschaltet, sondern erst später in den Prävertebralganglien. Sie versorgen die Bauch- und Beckenorgane und liegen vor der Wirbelsäule im Bauchraum.

Die Wirkung des Sympathikus

Der Sympathikus ist das wichtigste Aktivierungssystem im Körper. Er ruft Energiereserven ab, verbessert Leistung und optimiert die Versorgung. Die meisten Organe erfahren unter seinem Einfluss eine Aktivierung. Die Konzentrationsfähigkeit wird gesteigert und die Schmerzempfindlichkeit gesenkt. Um besser sehen können, vergrößern sich die Pupillen. Für eine optimale Sauerstoffaufnahme wird die Atmung schneller und die Bronchien weiten sich. Blutdruck und Puls steigen an. Das Herz kann so mehr Sauerstoff und mehr freigesetzte Glukose aus der Leber in Umlauf bringen.

Alles was für die anstehende Herausforderung nicht gebraucht wird, wird vom Sympathikus gehemmt. Die Verdauung wird beispielsweise verlangsamt und das Blut aus dem Magen-Darm-Trakt in andere Bereiche umgeleitet. Für den gesamten Organismus stellt es eine durchaus sinnvolle Maßnahme dar, denn sie spart wertvolle Kräfte ein, die vielleicht an anderer Stelle dringender benötigt werden könnten.

Das Nebennierenmark bestimmt beim Stress mit

Der bereits erwähnte zweite Übertragungsweg für schnelles Eingreifen, befindet sich im Hormonsystem. Die Nebenniere entscheidet mit, wie Stress verarbeitet wird. Das Nebennierenmark, ein Teil der Hormondrüse, unterstützt das sympathische Nervengewebe in seiner Wirkung. Es stellt eine Verbindung zwischen Nerven- und Hormonsystem dar, weil es ganz ähnlich wie sympathische Ganglien funktioniert. Die Nervenzellkörperchen im Nebennierenmark können Impulse empfangen, die sie nicht an andere Nerven weiterleiten, sondern sie dazu veranlassen, Hormone zu bilden und an den Blutstrom abzugeben.

Mit den Hormonen Adrenalin und Noradrenalin aus dem Nebennierenmarkt kann der Sympathikus seine Aktivität bei plötzlichem Stress steigern. Seine Wirkung ist dadurch nicht mehr nur auf einzelne Organe beschränkt, sondern erstreckt über den ganzen Organismus.

Dieses Notfallprogramm hat bestimmt schon jeder einmal erlebt. Stellen Sie sich vor: Gerade noch konnten Sie mit Ihrem Auto einem anderen ausweichen und so einen Unfall verhindern. Auch wenn nichts passiert ist und Sie mit dem Schrecken davon gekommen sind, schlägt ihr internes Alarmsystem bereits kurz an. Wie eine Welle läuft das Adrenalin durch ihren Körper. Ihr Blutdruck steigt, das Herz fängt sofort an, heftig zu klopfen, und die Handflächen werden schweißig-feucht. Bei dieser schnellen Wirkung ist es nachvollziehbar, warum das Hormon auch als Notfallmedikament zum Einsatz kommt.

Risikofaktor Sympathikus

Der Sympathikus setzt bei Anspannung und Stress eine Kettenreaktion in Gang. Hält die Belastung länger an, wandelt sich das Reaktionsmuster zu einem Risikofaktor. Eine Überaktivierung des Sympathikus ohne eine Gegenregulation des Parasympathikus wird langfristig zur ernsthaften Gefahr für die Gesundheit.

Viele Krankheiten werden mit einer Überaktivität des Sympathikus und verminderten parasympathischen Aktivität in Verbindung gebracht. Mit der gesteigerten Aktivität erhöht sich das Erkrankungsrisiko z. B. für

  • Bluthochdruck,
  • Herzrhythmusstörungen,
  • Herzinfarkt,
  • koronare Herzkrankheiten,
  • Diabetes,
  • Entzündungsprozesse,
  • Immunkrankheiten,
  • Stresserkrankungen und
  • psychosomatische Störungen.

Bei koronaren Herzkrankheiten beispielsweise kommt es zu einer Verschiebung der vegetativen Aktivitäten schon lange vor dem Auftreten von Symptomen. Das ist bestimmt der Grund, warum sich die Herzratenvariabilität (HRV) so gut als Frühwarnsignal einsetzen lässt.

Wenn das Gegenteil geschieht, die sympathische Aktivität schwindet, nimmt die Fähigkeit der Leistungssteigerung ab. Aber letztlich wird dadurch das Gesamtsystem vor einer dauerhaften Überbelastung geschützt.

Dominiert der Parasympathikus jedoch dauerhaft, also in einer krankhaften Weise, dann gestaltet sich der Alltag zu einer erschöpfenden Herausforderung, weil eine Leistungssteigerung durch den Sympathikus ständig gebremst wird.

Die HRV-Werte für den Sympathikus

Bei der HRV wird eine sympathische Aktivität bei dem Very Low Frequency-Wert (VLF) angenommen. Die Kenntnisse, welche Regelkreise dieser Parameter im Körper genau beeinflusst, sind zurzeit noch unvollständig. Erschwerend kommt hinzu, dass die Messzeit mindestens fünf Minuten dauern sollte, für exakte Ergebnisse sogar bis zu einer Stunde.

In einige HRV-Werte fließen die Aktivitäten von Sympathikus und Parasympathikus gleichzeitig ein. Wie groß der jeweilige Anteil ist, lässt sich nur besser ermitteln, wenn bei der Messung die Atmung mit einbezogen wird. Auf diesem Weg lässt sich beispielsweise bei einer Kurzzeitmessung eine respiratorische Sinusarrhythmie (siehe Beitrag Atmung bewegt Herzschlag) nachweisen. Sie ist ein Zeichen für den Einfluss des Parasympathikus.

SDNN Standard deviation of RR-intervals: Standardabweichung der RR-Intervalle im Messzeitbereich ohne klare Zuordnung zu Komponenten des VNS
TP Total power: Gesamtleistung oder Gesamtspektrum; entspricht Energiedichte im Spektrum von 0,00001 bis 0,4 Hz ohne klare Zuordnung zu Komponenten des VNS
LF Low frequency power: Leistungsdichtespektrum im Frequenzbereich von 0,04 bis 0,15 Hz Sympathikus und Parasympathikus, wobei der Anteil des Sympathikus überwiegt
LF% prozentualer LF-Anteil am Gesamtspektrum Sympathikus und Parasympathikus, wobei der Anteil des Sympathikus überwiegt
LF nu Low frequency normalized unit: entspricht LF / (TP – VLF) x 100 Sympathikus und Parasympathikus, wobei der Anteil des Sympathikus überwiegt
LF/HF Quotient der sympatho-vagalen Balance; als Wert des Zusammenspiels von Parasympathikus (HF) und Sympathikus (LF) Sympathikus und Parasympathikus
SD2 Standardabweichung der Punktabstände zum Längsdurchmesser des Poincaré-Streudiagramms Sympathikus und Parasympathikus

Tabelle der sympathisch und parasympathisch (gemischt) beeinflussten HRV-Werte (Quelle: Tabelle 2 aus der Leitlinie Nutzung der Herzschlagfrequenz und der Herzfrequenzvariabilität in der Arbeitsmedizin und der Arbeitswissenschaft)

Fazit

Der Sympathikus gehört genauso zu einem gesunden Körper wie der Parasympathikus. Beide begleiten uns durch Tag und Nacht. Je nach Situation oder Tageszeit überwiegt der Sympathikus oder der Parasympathikus. Das Wechselspiel kann nur ausgeglichen stattfinden, wenn die Bedürfnisse des Körpers wahrgenommen werden. Nur so sind langanhaltende Gesundheit und Vitalität möglich. Wie das Verhältnis der Aktivität von Sympathikus und Parasympathikus ausgeprägt ist, kann mit entsprechenden HRV-Analysesystemen dargestellt werden, z. B. als sympatho-vagale (parasympathische) Balance.

Ein Gedanke zu „Sympathikus – der Leistungsbringer“

  1. Wie immer eine sehr verständliche und komprimierte Zusammenfassung dieses eigentlich sehr komplexen Themas. Ein großes Kompliment vom ganzen Team auch für alle vorherigen Beiträge. Wir warten jeweils gespannt auf Ihre Veröffentlichungen und diskutieren diese dann oftmals schon am Montagvormittag 🙂

    herzliche Grüße vom ganzen BITsoft Team

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert